Mittwoch, 4. September 2024

Soziale Energie IV

 

Führen wir uns noch einmal den Freitagabend vor Augen, an dem wir uns zum Ausgehen überreden ließen: Wir erfahren in der Aktivität einen Energieschub – dieser lässt sich aber nicht als Input-Output-Relation modellieren. Die Antriebsenergie für die gemeinsame Aktivität kommt aus dieser selbst, es handelt sich um Interaktionsenergie, wie sie beispielsweise in einem gelingenden Gespräch, beim Musizieren oder beim Sporttreiben und manchmal auch bei der Arbeit entsteht. Diese Energie lässt sich keinesfalls als Summe der individuellen Energien verstehen.

 

Wenn es schlecht läuft, haben wir das Gefühl, viel Energie verbraucht zu haben und "gerädert" oder "erledigt" nach Hause zu kommen: "Es kam nichts zurück", sagen wir dann. Dieses Gefühl teilen sämtliche Beteiligten, wenn sie die Situation ähnlich erfahren haben. Es wäre also auch falsch, sich hier einen Energieaustausch als Nullsummenspiel vorzustellen, bei dem die einen investieren und die anderen profitieren. Gerade andersherum ist es beim gelingenden Abend: Hier fühlen sich hinterher alle beflügelt und beschwingt und haben den Eindruck, die Dinge hätten sich wie von selbst entwickelt, ohne dass es stetiger Anstrengung bedurft hätte.

 

Daraus ergibt sich dreierlei: Erstens, soziale Energie ist keine individuelle Ressource, sondern eine kollektive Kraft. Deshalb lässt sie sich nicht einfach als psychologische Größe im Sinne individueller Antriebsenergie fassen. Zweitens, sie ist überhaupt nicht als Ressource zu verstehen, die wir in einem Input-Output-Verhältnis verrechnen könnten, sondern sie entsteht uno actu in ihrer Verausgabung: Investition und Gewinn, wenn wir so wollen, fallen zusammen. Und drittens, sie existiert nur in der Bewegung, sie ist zirkulierende Energie – sobald wir sie "haben" wollen, verschwindet sie. Wenn wir uns nach der Verausgabung beim Sport oder im Theater energiereicher fühlen als vorher, so haben wir nicht soziale Energie getankt, die irgendwo gespeichert gewesen wäre, sondern wir haben uns – genau: in einer ruhenden Bewegung für einen zirkulierenden Energiestrom geöffnet.

 

 

Hartmut Rosa

 

https://www.uni-erfurt.de/forschung/aktuelles/forschungsblog-wortmelder/soziale-energie-diese-kraft-zu-verstehen-ist-ueberlebenswichtig-fuer-uns-alle

 

 

 


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