Die Haltung der Stille oder Abgeschiedenheit ist das Mittel, mit dem das Seelengefäß gereinigt wird, damit sich Gott darin ergießen kann. Doch der Mensch bewirkt diese Geburt nicht, dies tut Gott selbst, wie Johannes Tauler, einer der großen mittelalterlichen Mystiker, in einer seiner Predigten ausdrücklich betont: "Dann wird Gott sicher kommen, er wird in dir geboren werden. Aber wann? Das überlass ihm; bei einigen in ihrem Alter, bei anderen in ihrer Todesstunde, das befiehl ihm!" Bei der Gottesgeburt geht es ganz wesentlich nicht ums Tun, sondern ums Lassen, um das Loslassen von allen selbstischen Bezügen, die den Menschen von Gott trennen.
Aus unserer Sicht mag die Tatsache, dass Gott sich in jede individuelle Seele stets aufs Neue gebären will, wie eine große Gnade erscheinen, doch in der Wahrnehmung der Mystiker ist es Gott selbst, der sich förmlich danach sehnt, diese Geburt im menschlichen Seelenfunken zu erleben. Bei Meister Eckhart heißt es in einer seiner Predigten: "Es ist Gott wertvoller, dass er geistig geboren werde von einer jeglichen Jungfrau oder von einer jeglichen guten Seele, als dass er von Maria leiblich geboren werde."
Katharina Ceming: Advent bedeutet die Ankunft Gottes in der Welt - und in uns / 2019 Teilauszug
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