Zwischenzeit, das ist besser als Endzeit, aber sie fühlt sich fast genauso an wie diese. Denn wir ahnen zumindest, was hier zu Ende geht, aber wissen nicht, was beginnt. Die Metakrisen unserer Zeit haben inmitten all ihres Chaos, ihrer ganz Dynamik auch etwas zum Stillstand gebracht - es herrscht ein kollektives Herzrasen, der Atem stockt. In diesem rasenden Stillstand liegt es auch an uns, an unserer Kraft, sich dem Unbekannten zu öffnen, innerlich zu wachsen, damit die Zukunft sich zeigen kann.
Evolve, Heft 33, Februar bis April 2022, S. 28
Wir konstruieren uns unsere Welt
Jeder die seine, jede die ihre
Übereinstimmungen werden zur Norm und dann als objektiv deklariert
Erwartungen spriessen auf diesem Boden
Dabei verblassen kulturelle Prämissen
Wir suchen Sinn in unseren Konstrukten
Und behelfen uns dabei mit Logik, Vernunft, Objektivität, Kausalität
um damit den Beweis zu führen
Dabei sortieren, kategorisieren, zerlegen und verbinden wir unentwegt neu
Wir wähnen uns auf dem Pfad und fühlen uns gleichzeitig verirrt und verwirrt.
Was wäre, wenn wir vor diesem Hintergrund die drängenden Fragen unserer Zeit diskutierten?
Dass die Welt aus trennbaren Wissenschaften besteht, ist ein Mindset
Nora Bateson
Zur Erinnerung:
Herzliche Einladung zum Evolve Salon
Thema Ausgabe 33: Wir leben zwischen den Zeiten
am Mittwochabend, 16. Februar 2022, von 19.30 bis 20.45 Uhr
Einwahldaten für das Treffen:
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Der geniale Physiker, Werner Heisenberg, machte in den 1920er Jahren eine Entdeckung, die die Welt der Physik revolutionierte. Die nach ihm benannte Heisenbergsche Unschärferelation besagt, dass man den Ort und die Geschwindigkeit eines Elektrons nicht bestimmen kann, ohne es gleichzeitig zu beeinflussen. Die Erwartung des Untersuchenden ist also ausschlaggebend dafür, welches Ergebnis erzielt wird.
Bis dahin war man der felsenfesten Überzeugung, dass man die Natur als aussenstehender Beobachter untersuchen konnte. Seitdem weiss man, dass das nicht geht, sondern dass alles mit allem zusammenhängt. Es ist die Untersuchungsmethode des Wissenschaftlers und der Wissenschaftlerin, also seine oder ihre Erwartung, die bestimmt, wie die Elektronen reagieren. Und damit ist bewiesen: Wir verändern aufgrund unserer Erwartungen die Materie! Es handelt sich schlichtweg um eine physikalische Tatsache! Kannst du abschätzen, was diese Erkenntnis bedeutet?
https://www.krupa.biz/sie-glauben-nur-was-sie-sehen/
Tief im menschlichen Unterbewusstsein ist ein allgegenwärtiges Bedürfnis
nach einem logischen Universum, das Sinn ergibt.
Aber das wahre Universum ist immer einen Schritt jenseits der Logik.
Frank Herbert
Du glaubst deine eigenen Gedanken zu denken – doch du denkst die Gedanken deiner Kultur
Gregory Bateson
Konstruktivismus ist die Annahme, dass jeder von uns seine eigene Annahme kreiert, dass wir nicht die eine selbe externe Wirklichkeit wahrnehmen und Objektivität nichts anderes als eine Übereinkunft zwischen uns ist.
Aus «Agile Organisationsentwicklung» von B. Oestereich/ C. Schröder
Die Erforschung des Bewusstseins und das Streben nach Selbsterkenntnis kann nicht länger das Werk isolierter Individuen und Gruppen sein, wie in der Vergangenheit. Vielmehr muss die Gesellschaft umgestaltet und die Politik neu erfunden werden, um das aristotelische Streben nach Weisheit und Tugend und die platonische Suche nach Wahrheit und Schönheit zur Daseinsberechtigung der planetarischen Zivilisation zu machen, die jetzt um ihre Entstehung kämpft.
The exploration of consciousness and the pursuit of self-knowledge can no longer be the work of isolated individuals and groups, as in the past. Rather, society must be reorganized and politics reinvented to make the Aristotelian quest for wisdom and virtue, and the Platonic search for truth and beauty, into the raison d’être of the planetary civilization now struggling to be born.
Ophuls, William. Requiem For Modern Politics (1997)
Die meisten Menschen sind schlechte Psychologen und schlechte Philosophen, die sich ihrer selbst nur zum Teil bewusst sind und nur wenig rational handeln. Daher sind nur wenige in der Lage, ihre existenziellen Sorgen zu erkennen, geschweige denn, sie anzuerkennen oder zu artikulieren; und noch weniger sind in der Lage, auf vernünftige Weise auf sie zu reagieren, wenn sie einmal entdeckt wurden. Menschen, die von einer inneren Leere getrieben werden, um die Kohärenz wiederherzustellen, die verloren ging, als sie aller unterstützenden Mythen und Volksbräuche beraubt wurden, suchen daher mit großer Wahrscheinlichkeit außerhalb ihrer selbst nach einem Teufel, dem sie alle ihre Übel zuschreiben können. Und selbst wenn sie es vermeiden, bestimmte Gruppen zu dämonisieren, werden sie sich mit ziemlicher Sicherheit an oberflächlichen Erklärungen festklammern oder nach simplen Lösungen greifen, die, um es noch einmal zu wiederholen, nur eine weitere Erscheinungsform der Krankheit sind - eben weil weder die Erklärungen noch die Lösungen in historischer, psychologischer oder philosophischer Selbstreflexion wurzeln. Kurz gesagt: Anstatt sich mit der Komplexität der realen Welt auseinanderzusetzen, sucht der Ideologe die Schuld bei jemandem oder etwas anderem.
Most individuals are poor psychologists and bad philosophers, only partially self-aware and marginally rational. Hence few are capable of discerning, much less acknowledging or articulating, their existential concerns; and even fewer, of responding to them in reasonable ways once they have been discovered. People strongly impelled by an inner void to restore the coherence lost when they were stripped of all supporting myths and folkways are therefore very likely to look outside themselves for a devil to whom all their ills can be attributed. And even if they avoid demonizing particular groups, they will almost certainly latch on to facile explanations or grasp at simplistic solutions that are, to reiterate, but another manifestation of the disease—precisely because neither the explanations nor the solutions are rooted in historical, psychological, or philosophical self-reflection. In short, rather than confront the complexity of the real world, the ideologue finds someone or something else to blame.
Ophuls, William. Requiem For Modern Politics (1997)
Wissenschaftliche Erklärungen waren für den menschlichen Intellekt vielleicht befriedigender als die Mythen, die sie ersetzten, aber das menschliche Herz litt darunter, dass es keine Möglichkeit hatte, das Geheimnis von Sein und Nichtsein zu verstehen oder zu vermitteln. Daher, so Jung, "bereichert uns das moderne Wissen nicht", sondern es "entfernt uns mehr und mehr von der mythischen Welt, in der wir einst von Geburt an zu Hause waren", und entzieht uns so die Quelle unseres psychischen Reichtums. Das Ergebnis dieser Verarmung sind Wurzellosigkeit, Orientierungslosigkeit, Einsamkeit, Angst, Entfremdung und ein allgegenwärtiges Gefühl von Verlust - ein Gefühl, über einem Abgrund metaphysischer Bedeutungslosigkeit zu schweben.
Scientific explanation was perhaps more satisfying to the human intellect than the myths it replaced, but the human heart suffered from having no way of understanding or communicating the mystery of being and nonbeing. Hence, said Jung, modern “knowledge does not enrich us,” but by “remov[ing] us more and more from the mythic world in which we were once at home by right of birth,” it strips away our source of psychic wealth. The result of this impoverishment is rootlessness, disorientation, loneliness, anxiety, alienation, and a pervasive sense of loss—a feeling of being suspended over an abyss of metaphysical meaninglessness.
Ophuls, William. Requiem For Modern Politics (1997)
Die Herrschaft der Technologie wird schnell total. Schon jetzt werden Entscheidungen von enormer Tragweite, die jeden Bereich unseres Lebens betreffen - Entscheidungen über Telekommunikation, Computer, internationale Finanzen, elektronische Unterhaltung, medizinische Behandlung, Gentechnik und dergleichen - von kleinen Zirkeln von "Experten" getroffen, die Thorstein Veblens "geschultes Unvermögen" verkörpern, über ihre beruflichen oder technischen Scheuklappen hinaus zu sehen. Schlimmer noch, ihre Entscheidungen sind direkt oder indirekt durch Profit motiviert. Doch was sie entscheiden, kommt einer Verfassung für das Wirtschafts- und Sozialsystem des 21. Jahrhunderts gleich. Wir haben also die Kontrolle über unser politisches Schicksal an ein riesiges und autonomes technologisches Regime abgetreten. Es ist ein großer Irrtum, wenn wir das Wort Revolution verwenden, um auf neue und aufregende technologische Entwicklungen hinzuweisen: In Wirklichkeit werden wir von einem fortgesetzten technologischen Staatsstreich "regiert".
The reign of technology is rapidly becoming total. Even now, decisions of enormous import affecting every area of our lives decisions about telecommunications, computing, international finance, electronic entertainment, medical treatment, genetic engineering, and the like—are being taken by small coteries of “experts” who incarnate Thorstein Veblen’s “trained incapacity” to see beyond their professional or technical blinkers. What is worse, their decisions are motivated by profit, directly or indirectly. Yet what they decide will be tantamount to a constitution for the economic and social system of the twenty-first century. We have therefore effectively abdicated control over our political destiny to a vast and autonomous technological regime. We err profoundly in using the word revolution to refer to new and exciting technological developments: in fact, we are “governed” by a continuing technological coup d’état.
Ophuls, William. Requiem für die moderne Politik (1997)
Es gibt in der Tat einen höchst gefährlichen Abschnitt in der Geschichte eines demokratischen Volkes. Wenn der Geschmack für materielle Befriedigungen unter ihnen schneller gewachsen ist als ihre Bildung und ihre Erfahrung mit freien Institutionen, wird die Zeit kommen, in der die Menschen sich hinreißen lassen und jede Selbstbeherrschung verlieren.... In ihrem intensiven und ausschließlichen Bestreben, ein Vermögen zu machen, ... vernachlässigen sie ihre Hauptaufgabe, die darin besteht, ihre eigenen Herren zu bleiben.
There is, indeed, a most dangerous passage in the history of a democratic people. When the taste for physical gratifications amongst them has grown more rapidly than their education and their experience of free institutions, the time will come when men are carried away, and lose all self-restraint…. In their intense and exclusive anxiety to make a fortune … they neglect their chief business, which is to remain their own masters.
Alexis de Tocqueville zitiert in Ophuls, William. Requiem For Modern Politics (1997)
